Zu Gott navigieren

Zu Gott navigieren

 In der Covid-Zeit hatten viele Orte nur eingeschränkt geöffnet. Es waren zusätzlich für mich Zeiten, wo ich Schicksalsschlägen ausgesetzt war und demzufolge eingeschränkte Kräfte hatte. Die Türen eines christlichen Hauses waren für mich in der mehrfachen komplizierten Situation offen. 

 

Die Freund:innen in diesem Haus haben mir einen Raum für meine Forschungsarbeit zur Verfügung gestellt. Das Haus wurde für mich zu einem zweiten Zuhause – einem Lernort und einem Rückzugsort zum spirituellen Tanken und zur interreligiösen Begegnung von Herz zu Herz. Ich haben nach wenigen Wochen entschieden, mindestens 3 Mal in der Woche für 4 Stunden dort zu arbeiten, um besser voran zu kommen.

 

Am ersten Tag des neuen Plans bin ich gegen Mittag  ins Haus gekommen. Ich wollte mich schnell im Gebet vorbereiten, um danach zu arbeiten. Die Tür der Kapelle war offen und eine Freundin winkte mir von drinnen zu – Du bist herzlich willkommen. 

Ich nahm mir vor, mein Gebet und die Arbeit später nachzuholen, aber aus Höflichkeit und Wertschätzung in die Kapelle zu gehen. Als ich den Raum betrat und Platz nahm, waren rechts und links von mir alle in Demut und im Gebet konzentriert. Anwesend waren Student:innen, Frauen, Männer, Ältere und Jüngere. Da dachte ich mir, dass ich auch hier „versuchen“ kann mitzubeten. Innerlich hatte ich eine Auseinandersetzung mit der Frage, ob ich nicht besser gehen sollte, um mein Gebet zu „erledigen“ und mit der Arbeit endlich anzufangen.

Während dieser Auseinandersetzung lächelten und nickten mir mehrere bekannte Gesichter zu. Es hat nicht lange gedauert, bis ich ins Gebet „rutschte“ und im Gespräch mit Gott war, sodass ich nach und nach meine Umwelt und die betenden Menschen gar nicht mehr wahrgenommen habe. Ich habe einen Teil mit den Anwesenden mitgebetet und einen Teil allein gebetet. Nach dem Gebet sind alle zum Mittagessen gegangen. Ich blieb im Raum, um mein „muslimisches“ Gebet zu verrichten. Als ich das Gebet mit der Eröffnungsruf „Allahu akbar“ – Gott ist größer – begann, stoppte ich und dachte mir: Gott ist wirklich größer. ER ist größer als dieser Raum, größer als die eine oder andere Religionsgemeinschaft. Er ist größer, als dass wir ihn in einem Haus oder in einem Ritual einschränken könnten. Das war für mich ein Höhepunkt, wofür ich der Freundin und dem Haus für diese Möglichkeit und diese Erkenntnis bis heute dankbar bin. Ein paar Monate später las ich ein interessantes Zitat des großen Mystikers und Sufi-Meisters Dschalāl ad-Dīn ar Rūmī, das darauf zutreffend war

 

„Ich versuchte, ihn zu finden am Kreuz der Christen, aber er war nicht dort. Ich ging zu den Tempeln der Hindus und zu den alten Pagoden, aber ich konnte nirgendwo eine Spur von ihm finden. Ich suchte ihn in den Bergen und Tälern, aber weder in der Höhe noch in der Tiefe sah ich mich imstande, ihn zu finden. Ich ging zur Kaaba in Mekka, aber dort war er auch nicht. Ich befragte die Gelehrten und Philosophen, aber er war jenseits ihres Verstehens. Ich prüfte mein Herz, und dort verweilte er.“