Frieden braucht Mut

Frieden braucht Mut

 Obwohl es in der muslimischen Theologie nach wie vor Stimmen gibt, die nicht im Dienste des Friedens sprechen: Ehrlichkeit wird über alle Religionen und Weltanschauungen hinweg als ein Grundwert gepriesen.

Von Abualwafa Mohammed

„Si vis pacem, para pacem“ – Wenn du den Frieden willst, bereite den Frieden vor. Frieden zu wahren und ihn herbeizuführen ist eine anstrengende Arbeit, die jedenfalls notwendig ist und sich lohnt. Jeder behauptet gerne, er würde den Frieden wollen und sich wünschen, in Frieden zu leben. Das ist okay. Entscheidend ist aber: Was macht man eigentlich für den Frieden? Frieden heißt nicht passiv sein zu dürfen, sondern der Frieden ist ein permanenter Prozess und braucht Handlungen.

Der Konflikt im Nahen Osten beschäftigt uns in Europa mehrfach und multidimensional. Nicht nur auf der politischen Ebene – die nicht mein Schwerpunkt ist –, sondern auch auf der gesellschaftlichen, kulturellen, religiösen und pädagogischen. Gesellschaftlich ist dieser Konflikt u. a. eine Quelle für Antisemitismus und wird von menschenverachtenden Ideologien missbraucht. Die konkrete Politik der aktuellen Regierung eines Landes zu kritisieren ist erlaubt und manchmal sogar wichtig, darf aber nichts, gar nichts zu tun haben mit einer Verurteilung oder gar Verachtung der Menschen dieses Landes.

Uns erreichen in den letzten zwei Monaten viele gute Nachrichten über Friedensverträge im Nahen Osten zwischen arabischen Staaten und Israel. Ein Anlass für Optimismus und ein wichtiger Schritt zur Friedenssicherung auf der Welt.

Der lange Weg

Bahrain und die Vereinigten Arabischen Emirate haben im September dieses Jahres einen historischen Friedensvertrag mit Israel unterzeichnet. Der Sudan folgte im Oktober. Es ist eine positive Entwicklung, die in die richtige Richtung geht. Denn von einer Normalisierung der Beziehungen zu Israel können auch die Araber selbst profitieren. Bis zu diesem Punkt war es jedoch ein langer Weg, der noch nicht zu Ende gegangen ist: Immer noch gibt es Staaten und extreme Gruppierungen, die gegenüber Israel feindselig eingestellt sind und das Land bedrohen. Die Arbeit für den Frieden muss daher intensiviert werden.

Denn für wahren Frieden braucht es Transparenz, Mut und Ehrlichkeit. Letztere wird über alle Religionen und Weltanschauungen hinweg als ein Grundwert gepriesen. In der muslimischen Theologie gibt es jedoch auch Stimmen, die nicht im Dienste des Friedens mit allen Menschen sprechen, sondern Gewalt als legitimes Mittel betrachten und so den muslimischen Glauben öffnen für Handlungsweisen, die Humanität als Prinzip untergraben.

Der Kern des Glaubens

So propagierte der ägyptische Islamwissenschaftler Al-Zarkashi (1344–1392): Wenn die Muslime in einer Position der Schwäche sind, sollen sie geduldig und verzeihend sein; und wenn sie die Oberhand haben, in einen kriegerischen Jihad ziehen. Yusuf al-Qaradawi wiederum erlaubte in einem Rechtsgutachten zunächst Selbstmordattentate gegen Israel – und zog dieses später mit der Begründung zurück, dass es genug Waffen gäbe, die eingesetzt werden können. Der zeitliche Abstand zwischen diesen beiden extremen Ansätzen ist groß, dennoch ähneln sie einander. Richtig wäre, wenn Al-Zarkashi argumentieren würde: Die Muslime sollen sich für Frieden einsetzen, egal ob sie in einer starken oder schwachen Position sind, denn das ist der Kern des Glaubens. Der Islam hat Frieden im Namen und stammt vom arabischen Wort „SLM“, was Frieden bedeutet. Al-Qaradawi hätte als Begründung für das Zurückziehen des Gutachtens anführen müssen: „Wenn jemand einen Menschen tötet, so ist es, als hätte er die ganze Menschheit getötet.“ (Koran 5:32) Hier bekräftigt der Koran eine Grundregel, die sich auch im Talmud findet. Und al-Qaradawi hätte sich bei den Angehörigen der Opfer von Selbstmordattentaten entschuldigen müssen. In meiner Dissertation setze ich mich intensiv mit diesen theologischen Begründungen von Gewalt und dem Hass auseinander und kritisiere diesen Missbrauch der Religion für menschenfeindliche Ideologien.

Diese zwei Beispiele zeigen, dass auch in der islamischen Theologie Aufholbedarf besteht und dass reflektierend mit der klassischen Theologie umgegangen werden muss. Es braucht eine Reform und ein zeitgemäßes, humanistisches Islamverständnis.

Religion kann und darf nur für Frieden stehen und darf nicht für politische und ideologische Zwecke missbraucht werden. Ein humanistisches Verständnis sieht alle Menschen unabhängig von Religion, Herkunft oder Nationalität als Menschen. Ein Ansatz, der auch im Koran zu finden ist.

Ägypten als Vorreiter

Im Jahr 1977, nach dem Jom-Kippur-Krieg, sagte der ägyptische Präsident Anwar al-Sadat in einer Rede, dass er alles tun würde, um den Tod eines einzigen ägyptischen Soldaten zu verhindern, auch wenn er dafür in die Knesset gehen müsste. Der damalige israelische Ministerpräsident Menachem Begin nutzte die Gelegenheit und schlug mit der Einladung Sadats eine Friedensbrücke zu Ägypten. Es folgte ein anstrengender Verhandlungsmarathon, bis es schließlich im September 1987 zum Friedensabkommen zwischen Ägypten und Israel kam. Sadat wollte, dass auch alle anderen arabischen Staaten in Friedensverhandlungen mit Israel eintreten – ein mutiger Schritt in Richtung Frieden, der Ägypten die diplomatischen Kontakte zu den anderen arabischen Staaten kostete: Ägypten wurde aus der Arabischen Liga ausgeschlossen und erst im Jahr 1989 wieder aufgenommen. Heute bewegen sich auch einige andere arabische Staaten in Richtung Frieden, doch wie viel Zeit hat uns das gekostet? Und vor allem: wie viele Menschenleben?

Die Übernahme der Verantwortung

Israel kämpfte jahrzehntelang um die Anerkennung seines Existenzrechts bei den arabischen Ländern. Dieses Existenzrecht ist eine Selbstverständlichkeit und nicht verhandelbar. Nun ist es an der Zeit, dass Israel mehr Verantwortung für Frieden und Entwicklung in der Region übernimmt. Israel ist im Nahen Osten, aber auch international, in vielen Bereichen ein Vorreiter. Es ist ein demokratischer Staat, der die Gewaltentrennung lebt, der technologisch, wissenschaftlich und wirtschaftlich fortgeschritten ist und große Summen in moderne Start-ups investiert. Dieser Fortschritt möge auch in einen Friedensfortschritt münden. Gewalt gegen Menschen ist keine akzeptable Ultima Ratio des politischen Handelns; die Spirale der Gewalt dreht sich, bis jemand den Mut hat, sie zu unterbrechen. Vom Frieden profitieren immer alle Beteiligten. Es muss unser aller Ziel sein, dass Frieden auf dieser Welt herrscht, und hierfür kann jeder von uns einen Beitrag leisten. Si vis pacem, para pacem.

Während ich diesen Beitrag verfasse, erreicht mich die traurige Nachricht vom Ableben Aba Lewits, eines der letzten Zeitzeugen des Holocaust. An dieser Stelle darf ich ihn in Hochachtung zitieren: „Sie sollen bedenken, dass sie Menschen sind. Das ist das Einzige. Sie sollen menschlich sein.“ Das gilt für uns alle.

 

Vorheriger Beitrag

Weitgehend abwesend

Nächster Beitrag

Normaler Pragmatismus

Mohammed Abualwafa

Mohammed Abualwafa

ist islamischer Theologe und Religionspädagoge in Wien, Lehrbeauftragter an der Pädagogischen Hochschule Freiburg i.Br. und forscht zur islamischen Friedensbildung an der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe. Er steht für einen zeitgemäßen und europäischen Islam (www.abualwafa.at).